#36 Vocaltractshaping – Wurscht oder Wahnsinn?

Danke für eure zahlreichen Nachrichten, wie sehr ihr letzte Woche meinen Blog vermisst habt…. ist ein Satz, den ich vielleicht in meinen Träumen schreibe… Haha. Nein, nein keine Sorge, ich bin ja Realist. Für alle, die sich tatsächlich vielleicht gefragt haben, warum da kein neuer Blog daherkam: Ich habe mir letzte Woche eine Woche Urlaub gegönnt. Und heute reden wir wieder einmal über den – aus meiner Sicht – Kern der technischen Betrachtungen von Singen. Dem Vocaltractshaping. Also cool und englisch ausgesprochen Wouklträktschäiping. Das Formen des Vokaltrakts.

Das Einhorn (hier in Weiß statt Rosa, dafür mit leuchtendem Horn) kann beim Singen natürlich auch weiterhelfen. Manchmal. Aber wie konsistent? (c) pixabay/Wild0ne

Die Form unseres Vokaltrakts ist ein wesentlicher Teil dessen, wie wir einen gesungenen/gesprochenen Ton empfinden und wie wir ihn beeinflussen können. Somit ist VTS (okay, die Abkürzung erfinde ich gerade, aber hey, bietet sich an) eigentlich 50 Prozent davon, womit wir uns beim Trainieren der eigenen Stimme beschäftigen. Und kann somit natürlich weder wurscht noch Wahnsinn sein – sondern ist einfach höchst relevant. Warum es für manche Sänger:innen trotzdem eher Kategorie Wahnsinn ist, dazu später.

Für mich war es eine wahre Erleuchterung (Ich erfinde heute einfach Wörter, #mood #barneystinson) herauszufinden, dass es da konkrete Elemente in meinem Körper gibt, die ich bewusst steuern kann, um meinen Ton besser formen zu können. Die Stimmbänder selbst natürlich, aber auch die Bewegung des Kehlkopfes, der einzelnen Knorpel – oder mehr offensichtlich: Zunge, Lippen, Gaumensegel zum Beispiel. Für mich macht das Wissen, wie ich diese Elemente einsetze, Singen viel greifbarer. Und weniger Zauberei – von wegen: mehr fühlen, mehr „vorne singen“, mehr „in die Maske“ singen, mehr mit Emotion („Dann wird’s schon“). Das war für mich wichtig – deshalb auch mein Hang zu pädagogischen Systemen wie „Estill Voice Training“ oder „Complete Vocal Technique“. Wobei beide deutlich mehr anzubieten haben, als die Erklärung von Knorpelbewegungen…

Rosa Einhorn vs. Musculus cricothyroideus

Aber ich habe jetzt eh drei Mal geschrieben „für mich“. Es ist eben nicht für jeden so mega wichtig, zu wissen, wie der Vokaltrakt bei diesem und jenem Klang aussieht, was er macht. Und vielleicht muss ich so ehrlich sein, dass ich mir als Coach in der Arbeit mit Sänger:innen auch leichter tue, die das ähnlich neugierig betrachten. Denn Begrifflichkeiten, über die ich mich vielleicht im obigen Absatz etwas lustig mache („vorne singen“…), sind ja nicht kompletter Bullshit – im Gegenteil. Darüber schreibe ich ja eh so oft. Als Coach ist es super, super wichtig herauszufinden, was der*die Sänger:in braucht und wie er*sie denkt. Darum geht’s. Wir müssen eine gemeinsame Sprache finden. Ich zum Beispiel bin auch ein äußerst auditiver Mensch. Und das sind Gott sei Dank auch viele Menschen. Vorsingen – Nachsingen. Hören – Nachmachen. Es ist unglaublich, wie wichtig das ist, so banal es klingt. Natürlich könnten wir jeden Klang gemeinsam in seien Einzelteile zerlegen – für mich als Coach ist das auch wichtig, um mögliche Fehlerquellen zu finden. Das kann manchmal auch Spaß machen. Aber wenn ich einen Trick finde, eine Abkürzung – warum sollte ich diese nicht nehmen? Wenn der Gedanke an ein rosa Einhorn dasselbe Setting „auslöst“ wie die Anweisung und das Wissen über die Position aller Vokaltrakt-Elemente – warum sollte ich nicht das rosa Einhorn „einsetzen“ bei den nötigen Gesangspassagen?

Hauptsache Coach und Sänger:in sprechen dieselbe Sprache und das rosa Einhorn funktioniert konstant gleich gut. Und der*die Sänger:in weiß, an welchen Stellen das rosa Einhorn zu welchem Zweck hilfreich ist. Ob er*sie wissen will/muss, was das Einhorn tatsächlich anatomisch so auslöst, das ist eine Frage des Ziels. Ist es ein Pädagogik-Student, eine Hobbysängerin, ein Profi-Bandsänger, eine Person, die Logopädie studiert…. Das Erklären des genauen Settings kann von „äußerst relevant“ bishin zu „Wurscht“ oder gar „Wahnsinn“ sein. Letzteres zum Beispiel mit Menschen, die gar keinen kinästhetischen Zugang zu den Fuzi-Elementen im Vokaltrakt spüren. Menschen, die das Gerede über Kehldeckel und CT-Muskel mehr verwirrt, als dass es ihnen weiterhilft. Rosa Einhorn? You got it!

Die Chemie muss stimmen, die Ziele müssen klar sein, die Sprache muss dieselbe sein

Das sollte uns allen einmal mehr bewusst machen, dass es den einen richtigen Weg nicht gibt. Und das predige ich sowieso seit Wochen hier im Blog. Dürfte mir offenbar oft durch den Kopf gehen. Also könnten sich alle Sänger:innen und Gesangslehrer*innen auch ein bisschen entspannen. Das heißt wiederum nicht, dass ich nicht meine Prinzipien und Gedanken habe – und meinen eigenen Coaching-Stil. Einen Stil, den ich öfters durchbrechen sollte, meine eingefahrenen Schienen hinterfragen, neue Dinge ausprobieren, flexibel bleiben. Aber natürlich bin ich nicht der richtige Gesangscoach für jede*n. Nicht nur Genre- und Personality-bedingt. Eben auch von der Art, wie ich denke und die Dinge angehe. Es muss einfach passen, selbst wenn ich als Coach es natürlich als meine Aufgabe sehe, den Wünschen der Sänger:innen entgegenzukommen, ihre „Sprache zu sprechen“, auf sie einzugehen, so wie es ihnen am besten hilft. Für mich war es jedenfalls eine Offenbarung, festzustellen, dass es da konkrete Strukturen in meinem Hals gibt, die mir helfen, besser zu singen. Also let’s vocaltractshape, let’s vts. Anders geht’s defacto eh nicht. Es ist nur eine Frage der Methode.

Kartenverkauf für Musical „Godspell“ gestartet

Am 8. Mai feiert das Musical „Godspell“ von Stephen Schwartz Premiere im Theater im Neukloster. Wir proben dafür seit 2020… Pandemie und so… Aber jetzt ist es hoffentlich so weit. 1998 habe ich dieses Stück im Neukloster zum ersten Mal gesehen und war begeistert. 2003 durfte ich selbst mitspielen und prägte den Rollen-Typus des „Lauchs mit Armen“. 2022 bin ich als musikalischer Leiter an Bord. Es sind super spannende neue Arrangements übrigens – für alle Kenner. Für das Ensemble teils echt eine Herausforderung – #Prolog. Aber gut, wir hatten ja zwei Jahre Zeit… 🙂 Schaut euch das an!

Alle Infos findet ihr auf unserer Homepage: www.theaterimneukloster.at

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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