#51 Setzt die Gaumensegel – Wozu brauch‘ ich das nochmal beim Singen?

Es ist doch einer der schönsten Begriffe, die einen Teil des Vokaltrakts beschreiben: das Gaumensegel. Ein bisserl Sommerfeeling eben. Auf Englisch hält man sich da schlicht ans gute alte Anatomie-Latein: Velum. Was in etwa mit „Schleier“ übersetzt werden kann, was dem Segel wiederum recht nah kommt. Als Ex-Ministrant kennt man sich mit einem Velum ohnehin auch aus (… ist auch ein liturgisches Gewand) … Aber ich schweife ab. Gaumensegel also… ein Tuch, das man im Gaumen picken hat?

„Schlucken, Sprechen, Hören – an allem ist das Gaumensegel funktionell beteiligt, in dem es gezielt die Mundhöhle zum Rachen abgrenzt. Es besteht aus einer faserreichen Bindegewebsplatte, die mit Schleimhaut überzogen ist und wird auch als weicher Gaumen bezeichnet.“, so steht es im Anatomielehrbuch „Praxis funktionelle Anatomie“. Und da steckt schon sehr viel drin, das wir auch für’s Singen gebrauchen können.

„Soft Palate“ ist der weiche Gaumen, die Bögen links und rechts vom Zäpfchen/Uvula bezeichnen wir als das Gaumensegel. „Tonsils“ sind übrigens die Mandeln. Diese Grafik ist ursprünglich zum Zwecke der Mandel-Findung offenbar erstellt worden… (c) U.S. National Cancer Institute training web site

Wenn ihr mit der Zunge nach oben in eurem Mund „drückt“, spürt ihr wahrscheinlich den harten Gaumen, der quasi den Raum im Zahnbogen eures Oberkiefers „ausfüllt“. Wenn ihr mit der Zungenspitze jetzt immer weiter nach hinten oben drückt (was immer mehr Zungenverrenkung erfordert), werdet ihr aber irgendwann zu einem Punkt gelangen, wo die harte Gaumenplatte in einen weichen Bereich übergeht – sagt Hallo zum Weichen Gaumen. Auf Englisch sagt man auch nicht nur „Velum“, sondern eben auch „Soft Palate“, also „Weicher Gaumen“. In der Mitte thront – oder eher: hängt: das Gaumenzäpfchen, Englisch/Latein: „Uvula“ genannt.

Und ja: Primär ist es wohl die Aufgabe des Gaumensegels/weichen Gaumens, dass wir beim Essen nicht ständig Nahrungsmittel in die Nase bekommen… Was ja durchaus auch einmal passieren kann… Aber beim Schlucken sollte der weiche Gaumen durch diverse Muskeln nach hinten an die Rachenwand gedrückt werden, um das Essen ausschließlich nach unten in Richtung Speiseröhre zu drücken und sich die Spaghetti nicht in den Nasengang verirren.

Wächter des Nasengangs

Und da wären wir schon beim Thema eins im Zusammenhang mit dem Singen: Das Gaumensegel ist dafür verantwortlich, ob unser Ton auch durch die Nase gelangt, oder eben nicht. Ist der Nasengang offen (das Gaumensegel also entspannt rumhängt), singen wir per definitionem nasal (auch wenn das nicht gleich bedeutet, dass es für Zuhörer immer massiv als nasal beschrieben werden würde – also unbedingt so klingt). Ist der Nasengang zu – also schließt der weiche Gaumen hinten an die Rachenwand an, dann kommt der Ton ausschließlich durch die Mundöffnung. Was wir als Sänger präferieren, dahinter stecken Klangideale und persönliche Vorlieben … über das Thema „Nasalität“ habe ich im vocalfriday-Blog #34 schon einmal ein bisserl ausführlicher geschrieben.

Also ja, der weiche Gaumen und das Gaumensegel sind dafür verantwortlich, ob wir nasal singen – oder eben nicht.

Die Verbindung von Gaumensegel und Kehlkopf und Klangfarbe

Und dann kommen wir zur zweiten Funktion, über die ich persönlich noch einiges nachlesen könnte/sollte, weil ich mich (so einfach sie als Tipp fürs Singen umsetzbar ist) rein logisch-anatomisch noch nicht damit auseinandergesetzt habe. Soviel mal voraus: Das Gaumensegel ist auch bei der Wahl der Klangfarbe relevant. Recht gut spüren kann man das Heben und Senken des Gaumensegels beim Gähnen. Gähnt mal! (Habt ihr wohl schon, als ich „Gähnen“ zum ersten Mal geschrieben habe, oder…? 🙂 ) Spürt ihr die leichte Spannung oben am Gaumen, als würde sich der Raum im oberen, hinteren Mundraum etwas weiten? Super! Aber beim Gähnen passiert auch noch soooo viel mehr: am markantesten: der Kehlkopf sinkt nach unten. Schaut euch das im Spiegel vielleicht an. Wenn ihr gähnt, geht der ganze Kehlkopf (ein Stückerl) nach unten. Und es ist wichtig, dieses Zusammenspiel zu verstehen – und im Idealfall so gut wie möglich beim Üben zu trennen. Wenn ich nämlich hohe Töne singen will und dabei das Gaumensegel hebe/anspanne (?) – was in den CVT-Modes „Neutral“ oder „Curbing“ zum Beispiel durchaus hilfreich sein kann – wäre es eher erschwerend, wenn mir dann mein Kehlopf nach unten „abposcht“, also „hinunterfällt“. Hohe Töne, höherer Kehlkopf, ist meistens die Devise. Ein tief gestellter Kehlkopf hindert uns vielleicht daran, höhere Töne technisch sauber zu singen. Mehr dazu findet ihr in übrigens hier: #19 Lasst Mr. Kehlkopf und sein Team in Ruhe arbeiten.

Es sind also nur minimale Bewegungen und Gedanken, die uns hier helfen können, bzw. den Klang beeinflussen können. Zum Beispiel das Daumenlutsch-Gefühl… Es ist mehr ein Bild, denn wenn ich ausatme/singe, kann ich natürlich nicht gleichzeitig nuckeln…. Wäre auch für die Aussprache kontraproduktiv… Aber die Vorstellung, beim Singen am Daumen zu lutschen – so absurd es klingen mag, kann das nötige Setting schaffen. Oder das Bild / die anatomische Bewegung: Singe so, als wärst du gerade positiv überrascht (Tür auf, Überraschungsparty mit netten Leuten: Und los, sing!). „Positiv überrascht“ sorgt dafür, dass euer Kehlkopf nicht nach unten „fällt“, „überrascht“ sorgt für die Gaumensegelspannung.

Okay, jetzt hab ich da schon einige Tools wild umhergemixt. Ich komme nochmal zum Punkt: Ein höheres Gaumensegel sorgt für einen „runderen“ oder auch „dünkleren“ Ton, oft sinkt dabei der Kehlkopf. Beim klassischen Singen ein Fixbestandteil im Sing-Rezept. Für Pop/Rock-Sänger kommt’s eben auf den Klang drauf an, den wir wollen. Ein hohes Gaumensegel kann uns zum Beispiel auch in die Kopfstimme bringen bzw. rüberkippen lassen. Das kann ich nutzen – oder eben vermeiden. Will ich laute, metallische Sounds (die fix nicht Kopfstimme sind), dann werde ich anfangs eher ein entspanntes Gaumensegel nutzen. Später vielleicht kann ich mithilfe des Gaumensegels den Ton auch ein bisserl abrunden. Aber erst, wenn der Sound, den ich möchte, sicher und in der Muskelkoordination abgespeichert ist.

Der Vokaltrakt wirkt unmittelbar auf die Stimmbänder zurück

Ich habe ja ein paar Absätze zuvor geschrieben, dass mir die anatomischen Zusammenhänge noch nicht ganz klar sind. Von der Klangfarbe her ist mir das schon eher klar, wir machen den Klangraum größer. Das ergibt Sinn. Inwieweit aber ein hohes Gaumensegel das Vokaltraktsetting zum Beispiel beeinflusst, dass die Stimme dazu neigt, in die Kopfstimme zu flippen, damit habe ich mich noch nicht eingehend beschäftigt. Es ist aber wieder ein gutes Beispiel dafür, wie unser Setting ÜBER den Stimmbändern unsere Stimmbänder unmittelbar beeinflusst. Es ist nicht nur eine One-Way-Abhängigkeit. Was im Vokaltrakt passiert, wirkt unmittelbar darauf zurück, was unsere Stimmbänder (er)tragen können. Deshalb auch immer das ganze Vokal-Geplänkel, welcher Vokal für welchen Klang zuträglich ist… Aber ich schweife ab.

Ich sollte lieber zusammenfassen: Das Gaumensegel regelt einerseits die Nasalität, es schließt den Nasengang, andererseits ist die Spannung des Gaumensegels (Nuckeln, Gähnen) auch ein klangformendes Element, das für viele Klänge hilfreich sein kann (eher die „runderen“ Klänge, nicht die allzu rockigen/edgy Klänge). Für mich sind das zwei grundverschiedene Funktionen und Denkweisen.

Denkt einmal an den „Druckausgleich“. Das geht ja auch, ohne dass man sich die Nase zuhält und „hinein pustet“. Wenn ihr eure Ohren „öffnen“ wollt, gibt es ebenfalls Aktivität im Gaumensegel. Ein Zusammenhang, den wir uns beim Singen ebenfalls zunutze machen können. Andererseits, bin ich mir eben nicht sicher, ob dasselbe Gefühl bzw. etwa die Anweisung Singen mit „heißer Kartoffel“, also „hohem“/“gespannten“ Gaumensegel nicht doch eher ein Gefühl/eine Muskelaktivität in der Rachenwand ist. Im Spiegel sieht man allerdings auf jeden Fall, dass das Zäpfchen sich hebt, wenn ich gähne – und der Nasengang dennoch offenbleibt.

Immer schön neugierig bleiben

Okay, okay, jetzt habe ich hier am Ende fast noch mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben. Was mir auch wieder einmal mehr zwei Dinge zeigt: 1) Aus Sänger*innensicht: Dinge, die hilfreich sind, sind hilfreich. Punkt. Egal ob die Worte dazu anatomisch vollkommen korrekt sind. Stichwort „Bauchatmung“ oder „offene Kehle“. Solange man das Richtige tut. 2) Als Lehrer*in: Man soll Dinge ständig hinterfragen und nachforschen und wissen!

In diesem Sinne: Macht euch ruhig einmal vertraut mit eurem weichen Gaumen 🙂 Ihr werdet ihn irgendwann aktiv brauchen beim Singen! Und hier noch meine Einladung zum chilligen Open-Air-Konzert am Donnerstag in Wiener Neustadt – bei freiem Eintritt! Na? Wär das nicht was?

Musicalkonzert „You Can’t Stop the Beat“

auf der Terrasse des Café Tscherte, Stadtpark, Wiener Neustadt
Donnerstag, 21. Juli, 19:30 Uhr

Mit einem Teil des Ensembles des Theaters im Neukloster arbeite ich gerade an einem abwechslungsreichen Programm für die rund eine Stunde Musicalkonzert im Rahmen des „Kultursommers“ der Stadt Wiener Neustadt. Eintritt ist frei, die Umgebung chillig, die Drinks normalerweise kühl und ausreichend vorhanden! Und endlich darf ich wieder einen meiner Lieblingssongs performen… Diesmal mit Chor!

>> Link zum Facebook-Event
>> Link zum Event auf der Kultursommer-Seiten der Stadt Wiener Neustadt

(C) Theater im Neukloster

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

3 Kommentare zu „#51 Setzt die Gaumensegel – Wozu brauch‘ ich das nochmal beim Singen?

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