#63 Die ominöse zweite Stimme: Wo ist sie und wie halte ich sie?

Es ist ja nicht so, als würde man zweite Stimmen immer einfach so aus dem Ärmel schütteln wie in „High School Musical“ oder „Pitch Perfect“, wo sich jemand ans Klavier setzt, eine Melodie singt und dann plötzlich alle in komplizierten, aber präzisen Rhythmen und Harmonien „spontan“ dazu einsetzen und sich lächelnd zunicken. Leute, so funktioniert das in der Realität nicht. Zu 99 Prozent hat sich jemand zuerst überlegt, wie’s klingen soll und zu Papier gebracht bzw. einfach für sich ausgecheckt. Und das wird dann erarbeitet – wie auch in Chören üblich.

Was anderes ist es natürlich, am Lagerfeuer zu sitzen und jemand fängt an, ich weiß nicht, „Country Roads“ zu singen. Dann kann man sich schon gesanglich „zuwe haun“, also eine zweite Stimme dazusingen. Wenn der eine oder andere Ton dabei nicht ganz perfekt passt – vollkommen egal. Aber für manche ist diese Art des Zweite-Stimme-Singens eine Art Barriere. Manchmal eine Frage des Sich-Trauens, manchmal eine Frage des Wie-mach-ich-das? Eines hängt wohl mit dem anderen zusammen. Und das wollen wir uns heute ein bisserl näher ansehen. Wie finde ich eine zweite Stimme?

Lagerfeuer mit Gitarre ist immer ein guter Ort, um sich am Harmoniensingen auszuprobieren. (c) pixabay/Pexels

Die große Empfehlung ist generell: Sing bei einem Chor mit. Es gibt Gesangsgruppen für Sänger:inner jeglicher Vorerfahrung (zumindest in Ballungsräumen). Also bevor wir uns ans freie Harmonien-Singen machen, wär’s gut, wenn du vorhandene zweite Stimmen einmal übst. Dass du dich wohlfühlst dabei, dass du diese „halten kannst“ und nicht zurück in die Hauptstimme rutschst.

Eine (englische) Basis-Einführung, welche Töne für Harmonien überhaupt zur Verfügung stehen, findest du in diesem kurzen Youtube-Video. In einem Satz zusammengefasst: Wähle für die zweite Stimme einen Ton, der im Begleitakkord vorkommt, aber nicht schon von der Melodie „besetzt“ ist.

Der Ton-Pool, aus dem wir wählen können

Das klingt natürlich nach viel Musiktheorie. Ist es halt auch… Aber ja, so generell, wenn ich zum Beispiel ein Lied für Chor arrangiere gehts genau darum. In C-Dur habe ich also C, E und G zur Verfügung. Und wenns ein bisserl spannender sein darf noch alle anderen Töne 🙂 Es dürfen aber auch Töne vorkommen, die zwar nicht im Akkord, aber in der dazugehörigen Tonleiter vorkommen… Aber da muss man dann schon ziemlich aufpassen. Manche Töne, wie in C-Dur das F sollte man eher vermeiden. Aber in einem drei- bis vierstimmigen Chor darf während C-Dur zum Beispiel das D schon mal vorkommen. Im Pop-Genre spiele ich am Klavier diese sogenannte „Tension“ fast immer mit. Einfach weil ich den Klang mag. Als einzige zweite Stimme in „Country Roads“ würde es aber äußerst weird klingen, wenn du zur Melodie immer nur den zweiten Ton der jeweiligen Akkordtonleiter zu singen. Das wäre dann eher eine Übung für Fortgeschrittene… Weil das würde sich gefühlt ziemlich „reiben“. Okay, jetzt bin ich ein bisschen abgeschweift… 🙂 Über Chorsatz kann ich ja ein ander Mal schreiben, da gibt’s natürlich mehr und auch andere Regeln zu beachten. Ich wiederhole nochmal den Satz von oben: Wähle für eine zweite Stimme einen Ton, der im Begleitakkord vorkommt, aber nicht schon von der Melodie „besetzt“ ist.

HIER WEITERLESEN, FALLS IHR GERADE VOM MUSIKTHEORIETEIL GELANGWEILT SEID…
Jedenfalls…: Man muss man das alles nicht wissen. Man kann’s auch einfach „gspian“, also fühlen – ein bisserl nach dem Prinzip „Trial and Error“. Dabei gehst du am besten so vor – für eine möglichst einfache zweite Stimme – vorher, beim Üben. Nicht dann spontan am Lagerfeuer 😉

  • Nimm dir die Hauptstimme des Übungslieder auf dein Handy auf – aber seeehr langsam. Wenn du kannst, spiel dazu die Akkorde. Oder verlangsame dir ein Youtube-Video des entsprechenden Liedes. (Zur Übung bitte was Leichtes…)
  • Suche den Startton der Melodie. Bei „Alle meine Entchen“ wäre das das C (in C-Dur…).
  • Für Leute, die sich bei Akkorden ein bisserl auskennen: Suche einen anderen Akkordton, der nicht von der Melodie belegt ist – also bleiben in C-Dur noch E und G. Wir entscheiden uns jetzt mal für das E.
  • Für Leute ohne Musiktheoriekenntnisse: Suche einen anderen Ton, der klar und gut dazu klingt. Wir entscheiden uns für das E. (Tipp: Die Terz ist immer einen Versuch wert, am Klavier ist das die vierte Taste über dem Startton der Melodie – schwarze Tasten mitgezählt!!)
  • Singe den Ton so lange zur Melodie, bis du das Gefühl hast, der Ton passt nicht mehr. (Bis der Ton nicht mehr im Akkord vorkommt, der gerade dran ist.) Bei „Alle Meine Entchen“ wird das beim ersten Akkordwechsel auf dem Wort „Schwimmen“ der Fall sein. Hier wechselt der Akkord von C auf F. Und unser Startton E ist in F-Dur nicht enthalten. Soll heißen: Du singst die Wörter „Alle meine Entchen“ komplett auf EINEM Ton, dem E.
  • Sing einen Ton hinauf oder hinunter an dieser besagten Stelle. Schau, wie sich das anfühlt. Probieren wir hinauf. Dann landen wir vermutlich auf dem F. Das klingt doch nicht so schlecht in einem Akkord der auch F-Dur heißt. Hinunter wären wir wohl auf dem D gelandet. Das hätte sich dann doch etwas … exotischer … angehört. Also F.
  • Dann wieder… bleibe so lange auf diesem einen Ton, bis es sich komisch/“falsch“ anhört. Diesmal wohl schon beim „See“. Hier wechseln wir wieder auf unseren Ausgangston – also vom F wieder aufs E zurück.
    Also: ein E auf „Alle meine Entchen“, ein F auf „Schwimmen auf dem“
  • und so weiter… Ihr seht. Das Motto lautet zu Beginn (und übrigens eigentlich auch in Chors-Gesangslinien): So wenig wie möglich bewegen. In „Alle Meine Entchen“ in C-Dur könnte eine zweite Stimme also sein: e e e e e_ e_ f f f f e_ f f f f e_ f f f f e_ e_ f f f f e_
    Zwei Töne also nur. Wird jetzt nicht als geilste zweite Stimme der Welt in die Gesangsbücher eingehen… aber es ist ein Anfang.
  • Jetzt gilt es diese Töne so zu behandeln, als wären sie eine Melodie. Und immer wieder zu eurer Aufnahme der Melodie dazu singen.

Die Terz-Pommes. Immer schön parallel bleiben

Eine zweite Variante kann sein. Startton aussuchen, und die Melodie „parallel“ mitsingen. (Wer sich über die Zwischenüberschrift wundert… Pommes ist „parallel“ beim Skifahren, vs. „Pizzaschnitte“ im Pflug…. Yes, ich bin so ein Typ, ich muss meine Schmähs sicherheitshalber erklären…) Aber beim „parallel“ zur Melodie könnten wir in ein paar „Fallen laufen“. Denn auch wenn der Startton ein guter ist – wie oben beschreiben, etwa die Terz – wenn wir parallel mit der Melodie mitsingen, landen wir zu oft in „avoid notes“, also auf Tönen, die so gar nicht gut klingen (weil sie eben nicht im darunter liegenden Akkord enthalten sind oder nicht einmal in der Tonleiter. Mit ein bisserl Gefühl und Erfahrung kann man das schon ausgleichen, aber für den Anfang ist das etwas schwierig. Aber nur Mut 🙂 Auch hier kann man ja mit „Trial und Error“ sich mal ausprobieren – und Töne, die so gar nicht funktionieren, gegen andere – im Idealfall Akkordtöne – austauschen.

Und wer nicht weiß, ob eine gerade erfundene zweite Stimme passt – jetzt kommt wieder mein Standard-Rat: Aufnehmen, anhören! Und im Zweifel um Rat fragen.

Also nochmal eine kurze Zusammenfassung:

  • Eine zweite Stimme besteht (großteils) aus Akkordtönen des darunter liegenden/gedachten Akkords.
  • Übe am besten bestehende zweite Stimmen, die jeder zumindest schon mal gehört hat… Country Roads – oder in berühmten Duetten mal „die andere“ Stimme versuchen mitzusingen. „Calm After The Storm“, „More Than Words“, „Say Something“… Es gibt sooo viele Duette da draußen 🙂
  • Auch die Basstöne mitzusingen kann eine gute Übung sein. Also wenn du ein Lied mit Akkordsymbolen hast, könntest du taktweise jenen Ton singen, der über der Notenzeile für die Begleitinstrumente abgedruckt ist – auch wenn dort „Am“, also Moll, steht: Sing das A dazu. Das passt fix. Ist jetzt aber nicht unbedingt eine ideale Wahl als zweite Stimme, das wäre dann eher eine Linie, die man dem Bass in einem Chor zuteilt. Aber zum Üben von Stimmehalten eine gute Variante, weil man nicht überlegen muss, ob der Ton jetzt „richtig“ oder „falsch“ ist, weil er vorgegeben ist.
  • Sich trauen, sich aufnehmen, sich loben 😉 – sich verbessern.

Und nicht aufgeben. Auch das Zweite-Stimme-Finden kann man üben. Das ist wie so oft meine Message an euch. Nicht mit DEM EINEN Trick, es geht nicht von heute auf morgen. Aber man kann sich da schon mal hineinwagen in das Thema. Und im Chor lernt man das vielleicht am schnellsten – mit dem größten Spaßfaktor. Also, just go for it!


Safer Six (Pop-/Rock-Acapella!) – Wir sind bald auch in DEINER Nähe!

Programm Sound Of Cinema
Fr 18. November, 19 Uhr, Stadtsaal Gloggnitz
(für Kürzestentschlossene, die den Blog immer brav Freitagfrüh lesen… 😉 )

Programm Safer SiXmas
Sa 26. November, 19.30 Uhr, Theresiensaal Mödling
So 27. November, 18 Uhr, Theresiensaal Mödling
So 4. Dezember, 19 Uhr, Erlöserkirche Wiener Neustadt (Für diesen Termin könnt ihr Tickets direkt über mich reservieren, einfach hier drunter posten oder mich anschreiben!)
Fr 9. Dezember, 19.30 Uhr, Volksschule Unterhöflein

Ticket-Infos und weitere Termine:
www.safersix.at


Märchenmusical „Katrin Nussknacker“
Ab 27.11. bis 24.12. – für Kinder ab sechs Jahren im Theater im Neukloster
(Empfehlung! Ich hab‘ als musikalischer Leiter und Vokalarrangeur daran mitgewirkt…)
Hier entlang zum Ticketshop

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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