#74 Sieben faszinierende Fakten über das Singen

Ich probier’s diese Woche mal mit einem reinen Clickbaiting-Titel. Naja fast. Ich bin mir nur sicher, dass ich vermutlich nicht jede:r von euch mit den folgenden sieben Punkte überraschen kann. Denn schließlich sind manche ja wirklich treue Leser:innen dieses Blogs. Es mögen zwar ein bisserl wild durcheinander ausgewählte Fakten sein, aber sie faszinieren mich immer wieder. Und lassen mich mein Tun auch immer wieder hinterfragen.

Quasi jeder Punkt wäre ein eigener Blogartikel wert – und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass mehrere davon auch bald ein bisserl mehr Aufmerksamkeit bekommen. Und einen achten Fakt stell‘ ich noch voran: Ich weiß ja nicht, ob ihr’s schon wusstet: Singen ist voll gut für die Gesundheit. Das wollte ich ohnehin lang schon mal schreiben, aber wer sich für Singen so viel interessiert, dass er diesen Blog liest, dem brauch‘ ich das auch nicht erzählen… Also, los gehts! Sieben mindblowing Fakten übers Singen. Schnallt euch an!

(c) Pixabay

1. Singen ist Ausatmen

So offensichtlich das auch sein mag, so faszinierend ist diese „Erkenntnis“ für mich immer wieder. Denn das bedeutet auch, dass Singen eine Einflussnahme auf das Atemsystem ist. Eine Verzögerung des Ausatmens, ein Verlängern des Ausatmens, ein Zurückhalten von Luft. Und für uns als Sänger:innen ist es also wahnsinnig wichtig und spannend sich damit auseinanderzusetzen, wie wir mit der eingeatmeten Luft umgehen. Bzw. wie viel Luft wir überhaupt einatmen können und sollen. Die Menge der die Stimmbänder passierenden Luft bzw. deren Geschwindigkeit ist essenziell für unseren Klang.

2. Der Kehlkopf ist nicht zum Singen da

Ich finde das immer wieder hilfreich, sich das in Erinnerung zu rufen, dass der Kehlkopf primär damit beschäftigt ist, uns beim Schlucken und der Nahrungsaufnahme behilflich zu sein. Bzw. ist er auch dazu da, dass wir uns dabei nicht verschlucken und ersticken. Stimmbänder, Taschenfalten, Kehldeckel: Gleich ein dreifaches Schließsystem hilft uns dabei, dass kein Essen in die Lunge/Luftröhre gerät, sondern in die hintere Röhre, die Speiseröhre, rutscht. Rundherum sind Muskeln, die auch auf andere Dinge ausgelegt sind, als aufs Singen. Hier spielen auch Anspannung und „Angst“ vor hohen Tönen eine Rolle, wenn der Körper uns sozusagen davor schützen will, etwas Extremes zu tun.

3. Nix is fix: Der Kehlkopf besteht aus Knorpel

Das rufe ich mir immer wieder in Erinnerung… Ich rede manchmal von Schildknorpel und Stellknorpel und Co als wären das so fixe Strukturen. Mein Bastel-Kehlkopf im Regal in weißem Papier gibt mir fast den Eindruck, das wären Knochen. Aber so ist es eben nicht. Es sind eben Knorpel. So wie die Nasenspitze, die Ohrläppchen. Da ist nix fix. Das kann alles ge- und verbogen werden. Das heißt jetzt nicht, dass ihr Hand anlegen sollt beim Singen und manuell nachhelfen sollt. Aber es soll auch aufmerksam machen, was für seltsame Bewegungen der Vokaltrakt da teils vollführt. Und wie dreidimensional und kompliziert das System ist. Und alle anatomischen Beschreibungen, die ich immer suche und finde, sind nicht komplex genug und meistens nur eine Abstraktion (was ja auch was Gutes ist).

4. Stimmbänder sind keine Bänder

Dieser Fakt schlägt in eine ähnliche Kerbe. Da hören wir oft von Analogien wie Gummibänder, die höher klingen, wenn wir sie in die Länge ziehen. Ja eh. Stimmbänder erzeugen auch schnellere Schwingungen, wenn sie (sich) stretchen. Aber sie sind dann doch gänzlich anders aufgebaut. Mit mehreren, ja gar Dutzenden, verschiedenen Schichten, die interagieren und unterschiedliche Eigenschaften haben. Das Modell mit drei (oder fünf) „Schichten“: Vokalis-Muskel, Ligament und Mucosa ist ein gutes Bild, das vieles verständlich macht – aber es bleibt eine Abstraktion.

Und natürlich sind die Stimmbänder keine Saiten, die man zupfen kann. Sie wechseln ständig ihre Form, ihre Dicke, ihre Spannung – Stimmbänder darf man sich dreidimensional denken.

5. Singen ist reine Physik

Ja ja, Singen ist natürlich mehr als das: Ausdruck, Kreativität, Musik … All das. Aber im Grunde ist es das In-Schwingung-Bringen der Luft. Und ein Verstärken und Dämpfen der Obertöne. Ein Lenken der Schwingungen, ein Resonieren im Körper. Ein Verstärken bzw. Dämpfen des Primärklangs. Hier gibt es noch viel zu lernen für mich. Man muss ja nicht zwingend alles von dieser akustisch-physikalischen Seite betrachten, die Einteilung in sogenannte „akustische Register“ und ihre Applikation im Gesangsunterricht, bzw. generell hier ein besseres Verständnis, kann beim Singen aber einen neuen Zugang schaffen. Eigentlich nämlich perfekt: Nicht ganz so anatomisch (weil oft ohnehin nicht hilfreich: „Bitte mehr Stimmbandschluss, mehr Cricoid-Tild und mehr Kehlkopftrichterverengung“) und dennoch recht faktisch und nachprüfbar – mit den richtigen Tools.

Falls ich jetzt zu sehr verwirrt habe…. Ein gutes Beispiel für die Implementierung von Akustik sind eigentlich die Eigenschaften von Vokalen (oder die Vokal-Regeln in CVT). Warum funktioniert der Vokal „eh“ in Bruststimme besser als andere? Weil die quasi-ideale Form des Vokaltrakts quasi mitgeliefert wird. Die Stimmbänder können ihre Arbeit im Bruststimmklang ungehindert bzw. sogar vom Vokal unterstützt tun – im Idealfall. Das hat mit Druckverhältnissen, Engstellen zu tun, die eben gewisse Formanten hervorheben. Welche Form des Vokaltrakts unterstützt welchen Klang und warum? Das ist im Grunde doch immer die Frage… 🙂

6. Klang ist fast ausschließlich (Kultur-)Gewohnheit

Wer klingt wie? Und warum? Prägung vs. Form des Vokaltrakts also genetische Voraussetzungen. Ein Thema, in das ich noch kaum eingetaucht bin. Was ich bisher verstanden habe: Prägung ist super wesentlich. Surprise. Es mag zwar anatomische Voraussetzungen geben, die jedem gegeben werden mit der Geburt (bzw. zuvor…). Aber das Hören und Nachahmen der Geräusche ist entscheidend – und natürlich auch, wie man musikalisch gefördert wird.

Ausnahmen bestätigen immer die Regel. Aber damit will ich auch einen Denkanstoß geben: Es gibt Opernsänger:innen aller Hautfarben und Ethnien. Und es gibt weiße Gospelsänger:innen. Warum es so viel mehr People of Colour gibt, die Gospel singen? Weil es einfach viel mehr in den entsprechenden Communitys vorgelebt, entwickelt, getan, musiziert wird.

7. Das Zungenbein – schon mal ertastet?

Zum Abschluss dieses kleinen Rundflugs von Gesangsthemen: Das Zungenbein, os hyoideum. Warum ich es so leiwand finde? Nicht, weil es mich wahnsinnig als Gesangspädagoge beschäftigt… Sollte es…? Aber es überrascht mich immer wieder, dass es überhaupt da ist. Es ist einer von zwei „freischwebenden“ Knochen im Körper – es ist also nicht mit anderen Knochen verbunden – sondern nur von Bändern und Sehnen umgeben. Mann kann’s also – sofern einem nicht schon beim Gedanken daran mulmig wird – ein bisserl herumschieben an seiner Position – wie die Kniescheibe halt (bei durchgestrecktem Bein im Stehen).

Wo findet ihr das Zungenbein: Uuuungefähr da wo ihr auch geschwollene Lymphknoten fühlen würdet, ein bisserl weiter vorne. Fasst mit Daumen und Zeigefinger je eine Außenkante eures Unterkiefers (eher weiter hinten) und fahrt dann sanft nach innen und ein bisserl nach unten. Dort könnt ihr eine Verdickung spüren und das Zungenbein – bzw. dessen Enden (es hat eine Hufeisenform). Man kann es leicht nach links und rechts schieben.

Hier noch ein Zitat aus Wikipedia über die Funktion des Zungenbeins: „Das Zungenbein ist durch Bänder und Muskeln im Schädelbasisbereich fixiert. Dadurch erhält es bildlich gesprochen eine Schaukelfunktion. An der Unterseite der Schaukel sind Kehlkopf und Luftröhre aufgehängt mit Bewegungsoptimierung. Das wirkt sich günstig auf die Funktionen Kieferöffnung, Sprechen, Schlucken, Atmung und Husten aus.“

Ihr seht also, auch das Zungenbein hat viel Einfluss auf’s Singen – und dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass der Mensch überhaupt so spricht, wie er spricht, dazu noch ein Mini-Video hier. In diesem Sinne: Happy #vocalfriday!

Und hier noch eine Vorschau auf eines meiner nächsten Projekte. Infos dazu gibt’s demnächst! www.theaterimneukloster.at

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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