#71 „Wie viel“ anstrengend? Und wo? Gib dem „Effort“ eine Zahl!

Ready für ein bisserl Wortklauberei? Wir haben es wieder einmal mit einem englischen Wort zu tun, dass sich irgendwie in meinen Wortschatz geschmuggelt hat, weil es durch sein Englischsein keine negative Konnotation hat – für mich zumindest…: „Effort“. Auf Deutsch: Anstrengung, Mühe. Bei Anstrengung schwingt etwas Negatives mit, bei Mühe ebenso – und das etwas positivere „sich bemühen“ ist dann auch nicht exakt das, was das Wort beschreiben soll. Auch wenn alle diese Übersetzungen und Wörter natürlich auch im Wort „Effort“ stecken, so verwende ich es doch lieber auf Englisch in meiner Arbeit als Vocal Coach, bzw. beim Singen. Für mich wirkt es positiver und „richtiger“. Generell setzen wir Fokus/Kraft/muskulare Tätigkeit ein, um ein gesangliches Ziel zu erreichen. Eine wesentliche Frage beim Lernen von neuen Klängen und Dingen beim Singen kann es sein: Wo setze ich wie viel Effort ein? Und wo zu viel?

Ich liebe dieses – mittlerweile viel zu alte – Bild einfach. Und man kann schon sehen, dass ich hier viel Power aufwende beim Singen. Nicht nur an den richtigen Stellen (#kinn). Und Leute, ich weiß, so hält man auch kein Mikrofon… ;-p (c) Ario Omidvar

So im Dahinschreiben eines Blogs hört sich das immer etwas Meta an… Aber es kann wirklich hilfreich sein, dem Effort Beachtung zu schenken und ihm Nummern zuzuweisen. Damit meine ich: Eine Sängerin singt zum ersten Mal bzw. lernt gerade den CVT-Mode Overdrive – auf einer einzelnen Note auf einem Vokal. Sie ist westeuropäisch-geprägte Hobby-Chorsopranistin. Was oft bedeutet: Overdrive ist ein Mode, der für sie völlig fremd wirkt und sie ihre Stimme auf völlig neue Weise schwingen und spüren lässt. Mithilfe ihrer Gesangslehrerin hat sie es aber geschafft, den neuen Mode gesund und sicher erst einmal auf einem einzelnen Ton, dann auf einer Drei-Töne-Skala zu reproduzieren. Um den Mode aber auch zu Hause beim Üben wiederzufinden, kann die Frage nach dem Effort relevant sein. Etwa im Support. Wie viel (und wo) hast du gestützt, um diesen Ton zu singen, auf einer Skala von 0-10. 0 ist kein Effort, 10 ist viel Effort. Fiktive Antwort kann von 3 bis 9 reichen 🙂 Aber es kann wesentlich sein, um zu Hause das Setup wiederzufinden. Wie viel musstest du arbeiten, mithilfe des Gesichts (Zähne zeigen, „Biss“) oder Twang oder whatever, den Klang zu formen… und so weiter. Diese Zahlen (die natürlich absolut subjektiv sind – und nicht wirklich messbar ohne hauseigenes Labor) können eine wunderbare Hilfe dabei sein, am Anfang einen neuen Sound zu reproduzieren. Sich daran erinnern, wie viel Power es einen kostet – und an welchen Stellen im Körper. Oder beim Singen einer Phrase, eines „schwieriegen“ Tons… Wo brauche ich wie viel Effort, um die Stelle gut zu bewältigen.

Bewusstsein schaffen, Fokus setzen

Jetzt sind wir wieder an dem Punkt, wo das Zahlenspiel etwas übertrieben wirken könnte, wenn ihr euch vielleicht vorstellt, dass man sich beim Singen dann 17 verschiedene Effort-Zahlen merken soll, wo und wie man sich jetzt „mehr bemühen“ bzw. „weniger anstrengen“ sollte. Wie immer geht es hier ums Setting des Übens, ums Bewusstmachen. Es wird auch keinen Sinn machen, den Fokus auf drei Dinge gleichzeitig zu lenken. Eines nach dem anderen. Manchmal kann es auch ein „genereller Effort“ sein, den wir einer Phrase, einem Mode, einem Klang zuweisen. Mit der einfachen Message: An dieser Stelle musst du dich „mehr anstrengen“. Oder mit der Messsage: „Lass die Stimme kommen, hab vertrauen, lass mehr los“. Ihr habt vielleicht schon selbst erlebt, dass beide Sätze für dieselbe Stelle an unterschiedlichen Tagen die richtig sein kann. So komplex ist Singen manchmal. Und eben auch davon abhängig, wie fokussiert wir sind, körperlich ready, ausgeschlafen, betrunken, gut vorbereitet, verkühlt,… Und umso besser, wenn wir die richtigen Tools haben, mit dieser Tagesverfassung auch umgehen zu können.

Die umgekehrte Frage ist genauso nützlich: Wo setze ich Anstrengung ein, obwohl ich sie gar nicht brauche. Häufiges Beispiel: Kinn nach vorne schieben. Oder Stirn runzeln. Oder natürlich Bauchmuskeln zu viel anspannen („locked support“). Oder zu laut (zu viel Effort beim Luft hinauspressen). Es gibt leider vielerlei Möglichkeiten, Effort an der falschen Stelle verpuffen zu lassen. Und da reden wir dann tatsächlich von Anstrengung in negativem Kontext. Anstrengung, die uns unserem eigentlichen Ziel gar nicht näher bringt – im Gegenteil – meistens sogar hinderlich ist.

„Unnötigen“ Effort lokalisieren, eliminieren und dann jubilieren

Als sehr wirksam hat sich es meiner Erfahrung erwiesen, unnötigen Effort zu lokalisieren und loszuwerden. Das kann manchmal schon Aufgabe genug sein. Und das Zahlenspiel kann auch hier sehr wirksam sein, um sich mancher Arbeit/Mechanismen beim Singen bewusst zu machen. Wie viel Support verwendest du hier? 7 von 10? Passt! War’s gut, dann behalte 7 bei. Aber hast du Spannung im Kinn gespürt oder warst du in den Schultern total angespannt – so 9-von-10-angespannt? Dann könntest du ganz bewusst den Fokus mal dorthin lenken.

Die Frage nach dem Effort habe ich übrigens zuerst bei Estill-Voice-Training kennengelernt. In Form der Zahlen aber auch überaus beliebt bei CVT-Lehrer:innen. Und natürlich wird euch das auch bei vielen anderen Gesangslehrer*innen begegnen. Es ist ja schließlich auch ein allgemeines didaktisches Konzept der Bewusstmachung von Dingen. Und das ist immer der erste Schritt.

#vorfreude – ab 7. Mai 2023: „Diebe im Olymp – Das Percy-Jackson-Musical“

Bald gibt es Musical-News… Das Theater im Neukloster hat vor kurzem offiziell verkündet, welches Stück wir ab 7. Mai auf die Bühne bringen… Es ist „Diebe im Olymp“, das Percy-Jackson-Musical! Ich find den rockigen Score ziemlich leiwand und freu‘ mich schon auf die Arbeit daran. Und bald kann ich euch schon mehr dazu verraten. Aber die Termine könnt ihr euch ruhig schon mal dick anstreichen 😉

Ein paar Details haben wir den Niederösterreichischen Nachrichten schon vorab verraten, das könnt ihr hier schon nachlesen:
>> NÖN-Bericht: „Diebe im Olymp“ – Göttermusical in Wiener Neustadt

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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